Die Zahnmedizin erlebt einen tiefgreifenden Wandel durch digitale Technologien wie computergestütztes Design und Fertigung (CAD/CAM) sowie künstliche Intelligenz (KI) in der Diagnostik. Diese Innovationen revolutionieren die Herstellung zahnmedizinischer Restaurationen und erweitern die Präzision der Diagnostik sowie Effizienz klinischer Abläufe. Die digitale Zahnmedizin ist Realität und verspricht optimierte, individuellere, sicherere und vorhersagbarere Behandlungen. Die Synergie von CAD/CAM und KI-gestützter Diagnostik stellt einen Paradigmenwechsel dar, der die Patientenversorgung nachhaltig verbessern kann.
Der digitale Sprung
CAD/CAM ist ein unverzichtbarer Bestandteil der modernen Zahnmedizin geworden. Die Technologie ermöglicht digitale Datenerfassung, computergestützte Restaurationen und deren präzise Fertigung. Seit den 1970er Jahren hat sie enorme Fortschritte gemacht, insbesondere bei der Genauigkeit der Datenerfassung und Materialvielfalt 1. Moderne CAD/CAM-Systeme können eine breite Palette von Restaurationen herstellen, oft in einer einzigen Sitzung, was die Behandlungszeit verkürzt und den Praxisablauf optimiert 2.
Ein wesentlicher Fortschritt ist die Entwicklung und Integration von Intraoralscannern. Diese Geräte erfassen hochpräzise digitale Abdrücke, wodurch traditionelle Abformmethoden entfallen. Die Evolution der Intraoralscanner ist eng mit der KI-Integration verbunden. Neuere Scanner-Generationen erfassen Oberflächen mit hoher Genauigkeit und bieten intelligente Funktionen wie Karieserkennung, automatische Artefaktkorrektur und schnelles Zusammenfügen von Scans 2. Diese KI-gestützten Funktionen tragen maßgeblich zur Effizienz und Genauigkeit des Scanprozesses bei.
Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die zahnmedizinische Diagnostik grundlegend zu verändern. Durch die Analyse großer Datenmengen, wie Röntgenbilder und digitale Abformungen, können KI-Algorithmen Muster erkennen, die für das menschliche Auge schwer zu identifizieren sind 3. Dies führt zu präziseren Diagnosen und einer verbesserten Behandlungsplanung. Studien belegen, dass KI-unterstützte Diagnosesysteme eine höhere Genauigkeit bei der Erkennung pathologischer Veränderungen aufweisen können als manuelle Analysen 4.
Ein prominentes Anwendungsgebiet ist die Kariesdiagnostik. KI-Systeme erkennen Karies auf Röntgenbildern oft, bevor sie klinisch sichtbar wird, und markieren auch andere Auffälligkeiten wie Knochenabbau oder insuffiziente Restaurationen 5. Dies ermöglicht frühere Interventionen und präventive Maßnahmen. KI wird zudem in der Endodontie, Parodontologie, Oralchirurgie und Kieferorthopädie eingesetzt, um Diagnosen zu verbessern und Behandlungspläne zu optimieren 6. Die Fähigkeit von KI, konsistent und objektiv große Bilddatenmengen zu analysieren, reduziert die diagnostische Variabilität und unterstützt Zahnärzte bei der Einhaltung bester Praktiken.
Die KI-Integration in die Diagnostik geht über die reine Bildanalyse hinaus. Sie kann auch das Debonding-Risiko von CAD/CAM-Restaurationen vorhersagen und die Auswirkungen von Materialzusammensetzungen auf deren mechanische Eigenschaften bewerten 1. Dies unterstreicht die Synergie zwischen CAD/CAM und KI, die sich gegenseitig ergänzen und verstärken, um umfassendere und präzisere Ergebnisse zu erzielen.
Herausforderungen und Chancen
Die Integration von CAD/CAM und KI in die Zahnmedizin bringt vielversprechende Fortschritte, erfordert jedoch eine kritische Auseinandersetzung mit den Herausforderungen. Nur so können die Potenziale dieser Technologien voll ausgeschöpft und Limitationen verantwortungsvoll adressiert werden.
Eine wesentliche Limitation im Bereich CAD/CAM ist die Dominanz von In-vitro-Studien in der Forschung 7. Viele Ergebnisse zur Genauigkeit und Präzision von CAD/CAM-Systemen basieren auf Laborbedingungen, die nicht immer direkt auf die komplexe klinische Realität übertragbar sind. Obwohl diese Studien die technische Überlegenheit belegen, sind weitere, langfristige klinische Studien erforderlich, um die tatsächlichen Patientenvorteile umfassend zu bestätigen 7.
Im Bereich der KI-gestützten Diagnostik stellen Datenqualität und Algorithmusvalidierung zentrale Herausforderungen dar. KI-Systeme sind nur so gut wie ihre Trainingsdaten. Ungenaue Datenannotationen, begrenzte Datensätze für seltene Erkrankungen oder spezifische Merkmale sowie das Fehlen universell anwendbarer Modelle können die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der KI-Diagnosen beeinträchtigen 8. Algorithmen können Verzerrungen aus den Trainingsdaten übernehmen, was zu unfairen oder ungenauen Diagnosen führen könnte. Daher ist eine sorgfältige Validierung der KI-Systeme in unterschiedlichen klinischen Umgebungen und an vielfältigen Patientenkohorten von größter Bedeutung.
Ein weiteres kritisches Thema sind die rechtlichen und ethischen Implikationen. Fragen der Haftung bei Fehlern von KI-gestützten Diagnosesystemen, des Datenschutzes sensibler Patientendaten und der Transparenz der Algorithmen sind noch nicht abschließend geklärt 8. Die „Black-Box“-Natur vieler Deep-Learning-Modelle erschwert die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindung. Klare regulatorische Rahmenbedingungen und ethische Leitlinien sind notwendig, um den sicheren und verantwortungsvollen Einsatz von KI in der Zahnmedizin zu gewährleisten. Der Zahnarzt bleibt stets der letztverantwortliche Diagnostiker und Behandler; KI ist ein unterstützendes Werkzeug.
Trotz dieser Herausforderungen bieten CAD/CAM und KI enorme Chancen. Die Automatisierung und Standardisierung von Prozessen durch CAD/CAM führt zu höherer Reproduzierbarkeit und Qualität der Restaurationen. KI kann die diagnostische Genauigkeit erhöhen, indem sie subtile Veränderungen erkennt, die dem menschlichen Auge entgehen könnten, und somit frühere Interventionen ermöglicht. Die Kombination beider Technologien verspricht eine personalisierte Zahnmedizin, die auf die individuellen Bedürfnisse jedes Patienten zugeschnitten ist. Kontinuierliche Forschung und Entwicklung werden dazu beitragen, bestehende Limitationen zu überwinden und die Integration dieser Technologien in den zahnmedizinischen Alltag voranzutreiben.
Die Praxis von morgen
Die fortschreitende Integration von CAD/CAM und KI-gestützter Diagnostik hat weitreichende praktische Implikationen für den zahnärztlichen Alltag. Diese Technologien verändern die Arbeitsweise in der Praxis und bieten neue Möglichkeiten zur Optimierung der Patientenversorgung und Praxisführung.
Eine der offensichtlichsten Veränderungen betrifft Diagnostik und Behandlungsplanung. KI-gestützte Systeme unterstützen Zahnärzte dabei, Befunde auf Röntgenbildern oder intraoralen Scans schneller und präziser zu erkennen. Dies reicht von der frühzeitigen Detektion von Kariesläsionen bis zur Analyse komplexer parodontaler Zustände 5 6]. Die erhöhte diagnostische Genauigkeit führt zu fundierteren Behandlungsentscheidungen und ermöglicht proaktivere Patientenbetreuung. Für die Prophylaxe bedeutet dies eine gezieltere Risikobewertung und personalisierte Empfehlungen, basierend auf einer detaillierten Analyse der Mundgesundheitsdaten durch KI-Algorithmen.
In der Therapie revolutioniert CAD/CAM insbesondere die prothetische Versorgung. Die Möglichkeit, hochpräzise Restaurationen direkt in der Praxis zu designen und zu fertigen (Chairside-Fertigung), reduziert die Anzahl der Patiententermine erheblich 2. Dies steigert Patientenkomfort und Praxiseffizienz. Wartezeiten auf externe Labore entfallen, und Anpassungen können sofort vorgenommen werden. Die digitale Abformung mittels Intraoralscanner ist dabei ein Schlüsselelement, das den Prozess beschleunigt und angenehmer ist als konventionelle Abformungen. Die Materialauswahl wird durch die digitale Fertigung erweitert, da eine Vielzahl von Hochleistungsmaterialien präzise verarbeitet werden kann.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Technologien sind ebenfalls signifikant. Obwohl die initiale Investition beträchtlich sein kann, amortisiert sie sich oft durch gesteigerte Effizienz, reduzierte Labor- und Materialkosten sowie die Möglichkeit, mehr Patienten in kürzerer Zeit zu behandeln. Praxen können ihre Dienstleistungen erweitern und sich als Vorreiter in der digitalen Zahnmedizin positionieren. Technisch erfordert die Implementierung eine Anpassung der Infrastruktur und kontinuierliche Schulung des Praxisteams. Organisatorisch bedarf es einer Neugestaltung der Arbeitsabläufe, um die Vorteile der digitalen Kette optimal zu nutzen.
Die Kombination von CAD/CAM und KI ermöglicht zudem eine verbesserte Kommunikation zwischen Zahnarzt, Patient und Zahntechniker. Digitale Modelle und Designs können einfach geteilt und visualisiert werden, was das Verständnis des Patienten für den Behandlungsplan erhöht und die Zusammenarbeit optimiert. Die präzise Planung von Implantatpositionen mittels KI-gestützter Software und die Fertigung von Bohrschablonen mittels CAD/CAM sind weitere Beispiele, wie diese Technologien die Sicherheit und Vorhersagbarkeit komplexer Eingriffe verbessern 7. Insgesamt ermöglichen CAD/CAM und KI eine qualitativ hochwertigere, effizientere und patientenzentriertere Zahnmedizin.
Potenziale und Perspektiven
Die Entwicklung von CAD/CAM und KI in der Zahnmedizin ist noch lange nicht abgeschlossen. Zahlreiche Studien und Forschungsansätze deuten auf eine Zukunft hin, in der diese Technologien noch tiefgreifender in den zahnärztlichen Alltag integriert sein werden.
Ein zentraler Bereich zukünftiger Forschung ist die weitere Verfeinerung der KI-Algorithmen, insbesondere im Hinblick auf die Verarbeitung und Interpretation komplexer, multimodaler Daten. Aktuelle Studien konzentrieren sich darauf, KI-Modelle zu entwickeln, die nicht nur Röntgenbilder, sondern auch 3D-Scans, klinische Fotos, Patientenhistorien und genetische Informationen integrieren können. Dies würde eine noch umfassendere und personalisierte Diagnostik ermöglichen, die über die reine Erkennung von Pathologien hinausgeht und individuelle Risikoprofile sowie präventive Strategien ableitet. Die Entwicklung von KI-Modellen, die subtile Veränderungen im Mundgewebe erkennen, die auf systemische Erkrankungen hindeuten, ist ebenfalls ein vielversprechendes Forschungsfeld.
Im Bereich CAD/CAM wird die Forschung die Entwicklung neuer Materialien und Fertigungsverfahren vorantreiben. Biokompatible Materialien mit verbesserten mechanischen Eigenschaften und ästhetischen Qualitäten stehen im Fokus. Additive Fertigungsverfahren, wie der 3D-Druck, werden zunehmend an Bedeutung gewinnen und die Herstellung komplexer Strukturen mit hoher Präzision ermöglichen. Dies könnte die Produktion von personalisierten Implantaten, Schienen oder ganzen Prothesen revolutionieren. Die Integration von „Smart Materials“, die auf Umweltreize reagieren können, ist ein weiterer spannender Forschungsbereich.
Disruptive Technologien wie erweiterte Realität (AR) und virtuelle Realität (VR) werden voraussichtlich eine größere Rolle in der zahnmedizinischen Ausbildung, Behandlungsplanung und sogar während des Eingriffs spielen. AR-Systeme könnten Zahnärzten während der Operation Echtzeitinformationen und -anleitungen direkt im Sichtfeld anzeigen, was Präzision und Sicherheit erhöht. VR könnte für die Patientenedukation genutzt werden. Auch die Telezahnmedizin, ermöglicht durch KI-gestützte Diagnostik und digitale Kommunikationsplattformen, wird weiter an Bedeutung gewinnen.
Langfristig wird die vollständige Integration der digitalen Kette – von Diagnostik über Behandlungsplanung bis zur Fertigung und Nachsorge – zu einer noch effizienteren und patientenzentrierteren Zahnmedizin führen. Die Rolle des Zahnarztes wird sich dabei von einem reinen Behandler zu einem Koordinator und Interpreten komplexer digitaler Daten entwickeln. Kontinuierliche Weiterbildung und Anpassungsfähigkeit an neue Technologien werden entscheidend sein, um die Potenziale dieser digitalen Revolution voll auszuschöpfen und die Mundgesundheit der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern. Die Zukunft der Zahnmedizin ist digital, intelligent und personalisiert.
Quellen
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- Alghaui, M. A., Almutairi, S., Aljoha, R., & Alqutaibi, A. Y. (2025). Advancements in digital data acquisition and CAD technology in Dentistry: Innovation, clinical Impact, and promising integration of artificial intelligence. Clinical eHealth, 8, 32-52. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2588914125000115
- ZWP Online. (2024, Juni 24). KI in der Zahnmedizin: Die 4 wichtigsten Auswirkungen in 2024. https://www.zwp-online.info/zwpnews/dental-news/branchenmeldungen/ki-in-der-zahnmedizin-die-4-wichtigsten-auswirkungen-in-2024
- Die grüne praxis magazin. (o. D.). K.I. in der Zahnmedizin. https://www.xn--magazin-grne-praxis-fbc.com/post/k-i-in-der-zahnmedizin
- Quintessence Publishing. (2025, Mai 12). KI-gestützte Dentaldiagnostik steigert Akzeptanz und Effizienz. https://www.quintessence-publishing.com/deu/de/news/zahnmedizin/digitale-zahnmedizin/ki-gestuetzte-dentaldiagnostik-steigert-akzeptanz-und-effizienz
- Gao, S., Wang, X., Xia, Z., Zhang, H., Yu, J., & Yang, F. (2025). Artificial Intelligence in Dentistry: A Narrative Review of Diagnostic and Therapeutic Applications. Medical Science Monitor, 31, e946676. doi: 10.12659/MSM.946676
- Suganna, M., Kausher, H., Ahmed, S. T., Alharbi, H. S., Alsubaie, B. F., DS, A., ... & Ali, A. B. M. R. (2022). Contemporary Evidence of CAD-CAM in Dentistry: A Systematic Review. Cureus, 14(11). https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC9767654/
- Frontiers in Dental Medicine. (2024, Juni 7). Advancing Dental Diagnostics: A Review of Artificial Intelligence Applications and Challenges in Dentistry. https://www.mdpi.com/2504-2289/8/6/66
