Wenn der Druck steigt: Barodontalgie

Wenn der Druck steigt: Barodontalgie

| 14.9.2023 |

Der menschliche Körper reagiert auf Veränderungen in seiner Umgebung. Ein schmerzhaftes Phänomen ist die Barodontalgie, Zahn- oder Kieferbereichsschmerzen durch Druckänderungen. Oft als „Zahnquetschung“ bekannt, betrifft sie Taucher, Piloten und Menschen in großen Höhen. Ihre Relevanz für die Zahnmedizin ist immens, da Barodontalgie häufig auf zugrunde liegende, asymptomatische orale Pathologien hinweist. Die Erkennung und Behandlung dieser Ursachen ist entscheidend, um Patienten vor Schmerzen und Komplikationen in druckveränderten Umgebungen zu schützen.

Die verborgenen Schmerzen des Drucks

Die Barodontalgie, einst primär mit extremen Umgebungen wie Tauchen oder Luftfahrt assoziiert, rückt zunehmend in den Fokus der zahnmedizinischen Forschung. Aktuelle systematische Übersichtsarbeiten der letzten fünf Jahre haben unser Verständnis dieser druckinduzierten Zahnschmerzen erheblich erweitert. Eine umfassende Übersichtsarbeit von Alolaiwi et al. (2025) identifizierte Barodontalgie als die am häufigsten berichtete orofaziale Beschwerde bei Tauchern, mit Prävalenzraten zwischen 10,8 % und 56,1 % 1. Militärtaucher zeigten die höchsten Raten, was auf die Intensität ihrer Exposition gegenüber Druckänderungen hindeutet.

Die Forschung hat eindeutige Risikofaktoren identifiziert: häufiges Tauchen, größere Tauchtiefen (über 20 Meter) und höhere atmosphärische Drücke (über 1,5 Bar). Barodontalgie ist selten eine eigenständige Erkrankung, sondern ein Symptom für zugrunde liegende, oft asymptomatische orale Pathologien. Unbehandelte Karies, insuffiziente Restaurationen, Pulpitiden, apikale Läsionen und parodontale Erkrankungen können unter Druckänderungen zu Schmerzen führen 1. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer gründlichen zahnärztlichen Untersuchung und Behandlung vor Exposition gegenüber Druckänderungen.

Alolaiwi et al. (2025) untersuchten auch Kiefergelenkschmerzen (TMJ-Schmerzen) und dentales Barotrauma bei Tauchern. TMJ-Schmerzen (0,4 % bis 35 % Prävalenz) wurden mit Kieferpressen, enger Ausrüstung und langen Tauchgängen in Verbindung gebracht. Dentales Barotrauma (2,3 % bis 52,3 % Prävalenz), umfassend Restaurationsfrakturen und Prothesenverlust, war eng mit tiefen Tauchgängen und fehlerhaften Restaurationen verknüpft 1. Diese Erkenntnisse betonen die mechanischen Belastungen des stomatognathen Systems unter Druckänderungen.

Felkai et al. (2023) untersuchten das Risiko von Barotrauma und Barodontalgie im Zusammenhang mit Flugreisen nach zahnärztlichen Eingriffen 2. Ihre Studie liefert praktische Richtlinien für minimale Zeitintervalle zwischen Behandlungen und Flugreisen, um postoperative Komplikationen zu vermeiden. Empfohlen wird beispielsweise, mindestens 24 Stunden nach einer restaurativen Behandlung und bis zu sechs Wochen nach einem Sinuslift-Verfahren nicht zu fliegen. Diese Empfehlungen sind relevant in einer globalisierten Welt, in der Flugreisen zum Alltag gehören.

Die kritische Bewertung der Studienlage zeigt, dass die meisten Daten auf Querschnittsstudien und selbstberichteten Informationen basieren 1. Dies birgt das Risiko von Recall-Bias und subjektiver Variabilität. Die Heterogenität der Studien erschwert die Vergleichbarkeit und Metaanalysen. Dennoch liefern die Daten eine solide Grundlage für die klinische Praxis und betonen die Notwendigkeit umfassender oraler Gesundheitsvorsorge für Personen, die Druckänderungen ausgesetzt sind.

Zahnarztpraxis im Höhenflug

Die Erkenntnisse zur Barodontalgie haben direkte Implikationen für die zahnärztliche Praxis. Da Barodontalgie oft ein Warnsignal für unerkannte orale Pathologien ist, verschiebt sich der Fokus auf proaktive Diagnostik und Prävention. Zahnärzte sollten den Anamnesebogen um Fragen zur Exposition gegenüber Druckänderungen erweitern (Flugreisen, Tauchsport, Bergsteigen). Patienten, die solche Aktivitäten ausüben, sollten gezielt auf Barodontalgie-Symptome angesprochen werden.

Die Diagnostik erfordert eine sorgfältige klinische Untersuchung, die über Standardverfahren hinausgeht. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Integrität von Restaurationen, Karies, Pulpavitalität und Parodontalzustand. Röntgenaufnahmen können periapikale Läsionen oder unzureichende Wurzelfüllungen aufdecken. Die Identifizierung und Behandlung dieser „stillen“ Pathologien vor Druckexposition ist der Schlüssel zur Prävention. Dies kann die Erneuerung undichter Füllungen, Wurzelkanalbehandlungen oder Extraktionen umfassen.

Prävention spielt eine zentrale Rolle. Zahnärzte sollten Patienten über Risiken aufklären und präventive Maßnahmen empfehlen: optimale Mundhygiene, ergonomische Anpassungen der Tauchausrüstung oder Aufbissschienen bei Bruxismus. Die Wartezeiten nach zahnärztlichen Eingriffen vor Flugreisen, wie von Felkai et al. (2023) dargelegt, sollten in der Patientenberatung verankert werden 2. Dies ist besonders relevant für Zahntourismus.

Die wirtschaftlichen und organisatorischen Auswirkungen sind ebenfalls wichtig. Proaktive Barodontalgie-Behandlung kann langfristig Kosten sparen, indem sie Notfallbehandlungen reduziert. Für Praxen bedeutet dies Investitionen in Weiterbildung und Zusammenarbeit mit Tauch- oder Luftfahrtmedizin. Die Integration dieser Aspekte stärkt die Patientenversorgung und positioniert die Praxis als Kompetenzzentrum.

Innovationen für eine druckfeste Zukunft

Die Forschung zur Barodontalgie schreitet voran. Vielversprechende Ansätze konzentrieren sich auf unterrepräsentierte Patientengruppen wie Kinder und technische Taucher. Längsschnittstudien zur Inzidenz pro Tauch- oder Flugstunde sind dringend erforderlich, um präzisere Risikoprofile und kausale Zusammenhänge zu untermauern. Standardisierung von Methoden und objektive Messinstrumente werden die Vergleichbarkeit verbessern.

Potenziell disruptive Technologien könnten Diagnostik und Therapie revolutionieren. KI könnte Risikopatienten frühzeitig identifizieren und personalisierte Präventionsstrategien entwickeln. Fortschritte in der Materialwissenschaft könnten zu Biomaterialien führen, die weniger anfällig für Druckschwankungen sind. Intelligente Sensoren in Zahnfüllungen könnten Druckveränderungen überwachen und frühzeitig auf Probleme hinweisen.

Langfristig ist die Integration der Erkenntnisse zur Barodontalgie in die zahnärztliche Ausbildung entscheidend. Jeder Zahnarzt sollte Risiken erkennen, präventive Maßnahmen ergreifen und Patienten adäquat beraten können. Die Zusammenarbeit zwischen Zahnmedizinern, Tauchmedizinern, Luftfahrtmedizinern und anderen Fachdisziplinen wird sich intensivieren, um interdisziplinäre Leitlinien zu entwickeln. Ziel ist eine Zukunft, in der druckbedingte Zahnschmerzen selten sind und die orale Gesundheit von Menschen in extremen Umgebungen optimal geschützt ist. Die Zahnmedizin leistet so einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit und zum Wohlbefinden dieser speziellen Patientengruppen.

Die Barodontalgie ist ein faszinierendes und klinisch relevantes Phänomen, das die enge Verbindung zwischen oralen Pathologien und externen physikalischen Faktoren verdeutlicht. Jüngste Forschungsergebnisse haben unser Verständnis der Prävalenz, Risikofaktoren und Mechanismen vertieft. Es ist klar geworden, dass Barodontalgie selten eine isolierte Erkrankung ist, sondern ein Indikator für eine bestehende, oft unerkannte orale Schwachstelle. Dies unterstreicht die zentrale Rolle des Zahnarztes bei der Prävention und Behandlung dieser druckinduzierten Schmerzen.

Durch sorgfältige Anamnese, die Exposition gegenüber Druckänderungen berücksichtigt, gründliche klinische Untersuchung und konsequente Behandlung aller identifizierten oralen Pathologien können Zahnärzte einen entscheidenden Beitrag zur Sicherheit und zum Wohlbefinden ihrer Patienten leisten. Die Aufklärung der Patienten über Risiken und präventive Maßnahmen, insbesondere im Kontext von Flugreisen und Tauchsport, ist unerlässlich. Kontinuierliche Forschung und die Integration neuer Technologien werden dazu beitragen, Diagnostik und Therapie der Barodontalgie weiter zu verfeinern und letztlich ein schmerzfreies Lächeln zu gewährleisten, selbst wenn der Druck steigt.

Quellen
  1. Alolaiwi, L. A., Alzahrani, F. A., & AlShammari, S. A. (2025). Diving into discomfort: orofacial pain dynamic—A systematic review. Frontiers in Public Health, 13, 1553541. https://www.frontiersin.org/journals/public-health/articles/10.3389/fpubh.2025.1553541/pdf
  2. Felkai, P. P., Nakdimon, I., Felkai, T., Levin, L., & Zadik, Y. (2023). Dental tourism and the risk of barotrauma and barodontalgia. British Dental Journal, 234(3), 115–117. https://www.nature.com/articles/s41415-023-5449-x
  • Besser geht's nicht. Wunderbar. Nach meinem blöden Autounfall ist jetzt wieder alles gut. DANKE

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  • Ich war bei Dr. Lendrodt für eine Prophylaxe und professionelle Zahnreinigung. Die Terminvereinbarung ging sehr schnell und ich bin ohne Wartezeit dran gekommen, super Termin Management!

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