Heute mal kein zahnmedizinisches Thema, sondern eine Betrachtung zu der Situation von Zahnärzten in unserer Stadt! München steht nicht nur für Lebensqualität, sondern auch für besondere Anforderungen an seine medizinische Infrastruktur. Die zahnärztliche Versorgung bildet hier keine Ausnahme. Wie hat sich die Landschaft der Zahnärzteschaft in der bayerischen Landeshauptstadt entwickelt? Steht genügend Praxispersonal einer wachsenden Bevölkerung gegenüber? Und vor welchen spezifischen Hürden stehen Münchens Zahnärztinnen und Zahnärzte?
Urbaner Praxisdruck: Zahlen und Relationen im Fokus
Ende 2023 praktizierten in München nach Angaben der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns (KZBV) und der Landeszahnärztekammer etwa 1.023 Zahnärztinnen und Zahnärzte in niedergelassener Tätigkeit. Dies entspricht einer deutlichen Konzentration im bundesweiten Vergleich. Bezogen auf die Einwohnerzahl Münchens von rund 1,58 Millionen ergibt sich ein Verhältnis von etwa einem Zahnarzt pro 1.545 Einwohner 1, 2. Und heute, zwei Jahre später, dürfte sich nicht viel an diesem Verhältnis geändert haben.
Die Entwicklung dieses Verhältnisses über die letzten zwei Jahrzehnte zeigt einen klaren Trend: Während die Bevölkerungszahl Münchens kontinuierlich wächst – ein Plus von über 20% seit dem Jahr 2000 –, hat auch die Anzahl der Zahnarztpraxen zugenommen, jedoch nicht immer im gleichen Tempo. In den 1990er und frühen 2000er Jahren war das Verhältnis mitunter deutlich enger, teilweise bei unter 1:1.400. Seit etwa 2010 hat sich die Relation bei leicht steigender Zahnärztezahl, aber stärker wachsender Bevölkerung, auf dem aktuellen Niveau eingependelt oder leicht verschlechtert 1, 2, 6. Bundesweit liegt das Verhältnis derzeit bei etwa 1:1.800, womit München formal besser versorgt erscheint 2. Diese rein numerische Betrachtung täuscht jedoch über erhebliche regionale Disparitäten innerhalb der Stadt und spezifische Herausforderungen hinweg.
Münchens spezifische Zahnarztherausforderungen: Mehr als nur Zahlen
Die Münchner Zahnärzteschaft operiert in einem einzigartigen Umfeld, das mehrere spezifische Herausforderungen mit sich bringt:
- Extreme Kostenexplosion: München zählt zu den teuersten Städten Deutschlands, insbesondere bei den Mieten und Immobilienpreisen. Die Einrichtung und der Unterhalt einer Praxis stellen enorme finanzielle Hürden dar. Hohe Investitionskosten für Geräte und Technologie verschärfen die Situation. Studien des ifo Instituts und der IHK München belegen die überdurchschnittliche Kostenbelastung für Gewerbetreibende in der Stadt 3, 4.
- Akuter Fachkräftemangel: Der Wettbewerb um qualifiziertes Praxispersonal (ZFA, DH) ist in München besonders intensiv. Die hohen Lebenshaltungskosten, Konkurrenz durch andere Branchen und die begrenzte Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum erschweren die Rekrutierung und Bindung von Mitarbeitern massiv. Dies führt zu erhöhtem Arbeitsdruck und kann die Praxiskapazitäten einschränken 5.
- Hohe Patientenerwartungen: Die Münchner Bevölkerung ist tendenziell gut gebildet, gesundheitsbewusst und anspruchsvoll. Patienten informieren sich intensiv und erwarten höchste Qualität, modernste Technologien (Digitales Röntgen, intraorale Scanner, CAD/CAM, ggf. KI-Anwendungen) und ein umfassendes Serviceangebot. Dies erfordert fortlaufende Investitionen in Fortbildung und Praxisausstattung 7.
- Regionale Ungleichverteilung: Innerhalb Münchens existieren Versorgungsunterschiede. In attraktiven, zentralen Lagen ist die Praxisdichte hoch, während in manchen peripheren Stadtteilen oder Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf die Verfügbarkeit geringer sein kann. Mobilitätseinschränkungen bei Patienten können dies verstärken 1, 6.
- Bürokratie und Regulierung: Wie überall in Deutschland ist auch in München der administrative Aufwand (Abrechnung, Dokumentation, Hygienevorschriften) hoch und bindet wertvolle Ressourcen.
Zukunftsmotor Digitalisierung: Chancen im Großstadtdschungel
Trotz der Herausforderungen bieten sich auch Chancen, insbesondere durch technologische Innovationen:
- Effizienzsteigerung durch digitale Workflows: Die Integration von digitaler Abformung (intraorale Scanner), CAD/CAM-Technologie für Kronen, Brücken und Inlays sowie digitale Röntgendiagnostik optimiert Abläufe, reduziert Fehlerquellen und spart Zeit. Cloud-basierte Praxisverwaltungssysteme (PVS) ermöglichen flexiblere Arbeitsmodelle und Datensicherheit 7, 8.
- Teledentistry: Vor allem für administrative Aufgaben (Anamnesevorbesprechung, einfache Nachkontrollen, Rezeptanfragen) oder die Zweitmeinung bei radiologischen Bildern kann Telemedizin die Praxisbelastung reduzieren und Patienten in peripheren Gebieten besser erreichen. Die Akzeptanz wächst, auch wenn die direkte Behandlung vor Ort unersetzbar bleibt 7, 9.
- KI als unterstützendes Werkzeug: Künstliche Intelligenz beginnt, Einzug in die Diagnostik zu halten (z.B. automatisierte Auswertung von Röntgenbildern zur Karies- oder Parodontitis-Früherkennung). Sie kann als Assistenzsystem dienen, um den Zahnarzt zu entlasten und die Objektivität zu erhöhen. Langfristig sind Anwendungen in der Behandlungplanung (z.B. Implantatpositionierung, Aligner-Therapie) denkbar 7, 10.
- Fortschrittliche Biomaterialien: Die Forschung zu bioaktiven Füllmaterialien, verbesserten Implantatoberflächen für schnelleres Einheilen (Osteointegration) und regenerativen Ansätzen (z.B. zur Unterstützung der Knochenneubildung) schreitet voran. Diese Materialien können die Langlebigkeit und Biokompatibilität von Restaurationen weiter verbessern 11.
Münchner Wegweisung: Strategien für eine zukunftsfähige Versorgung
Um die hohe Qualität der zahnärztlichen Versorgung in München auch zukünftig zu sichern, sind verschiedene Strategien denkbar und notwendig:
- Kooperation und Netzwerke: Praxisverbünde oder Netzwerke können helfen, hohe Kosten (z.B. für Geräte, Fortbildung, Marketing) zu teilen, Synergien zu nutzen und die Attraktivität für Fachpersonal durch vielfältigere Einsatzmöglichkeiten zu erhöhen. Auch Kooperationen mit Fachärzten oder Laboren unter einem Dach gewinnen an Bedeutung.
- Spezialisierung und Nischenbesetzung: Angesichts der hohen Konkurrenz kann die Fokussierung auf bestimmte Fachgebiete (Implantologie, Endodontie, Parodontologie, Kinderzahnheilkunde, Ästhetische Zahnmedizin) oder besondere Servicekonzepte (z.B. spezielle Öffnungszeiten, umfassende Prophylaxeprogramme, Angstpatientenkonzepte) ein Differenzierungsmerkmal bieten.
- Investition in Effizienz und Mitarbeiterbindung: Die Optimierung von Praxisabläufen durch Digitalisierung ist nicht nur technisch, sondern auch organisatorisch zu denken. Investitionen in eine positive Arbeitsatmosphäre, faire Vergütung, flexible Arbeitsmodelle und Fortbildungsmöglichkeiten sind entscheidend, um begehrte Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Unterstützung bei der Wohnungssuche kann ein zusätzliches Argument sein.
- Proaktive Standortpolitik und politisches Engagement: Die Zahnärzteschaft sollte sich aktiv in die Diskussion um Gewerbeflächenpolitik und bezahlbaren Wohnraum in München einbringen. Der Dialog mit kommunalen Entscheidungsträgern über die Bedeutung einer flächendeckenden und erreichbaren zahnmedizinischen Versorgung ist wichtig.
- Stärkung der Prävention: Der Fokus auf individualisierte Prophylaxe und Mundgesundheitsaufklärung bleibt zentral. Digitale Tools können hier die Patientenkommunikation und -motivation unterstützen und langfristig behandlungsintensive Fälle reduzieren.
Die zahnärztliche Versorgung in München spiegelt die Dynamik und die spezifischen Spannungsfelder der Metropole wider. Während das rein numerische Verhältnis von Zahnärzten zu Einwohnern im bundesweiten Vergleich günstig erscheint, stellt der urbane Raum mit seinen exorbitanten Kosten, dem harten Wettbewerb um Personal und den hohen Patientenerwartungen ein herausforderndes Umfeld dar. Die regionale Ungleichverteilung innerhalb der Stadt bleibt eine Aufgabe.
Die Zukunft der Münchner Zahnmedizin wird maßgeblich davon geprägt sein, wie es gelingt, die Chancen der Digitalisierung – von effizienteren Workflows über Teledentistry bis hin zur KI-gestützten Diagnostik – intelligent zu nutzen, um den ökonomischen und personellen Druck zu bewältigen. Neue Biomaterialien versprechen zudem verbesserte Behandlungsergebnisse. Entscheidend für den Erfolg werden jedoch auch strategische Anpassungen sein: Praxisnetzwerke zur Kostenteilung, gezielte Spezialisierung, Investitionen in Mitarbeiterzufriedenheit und ein proaktives Engagement für praxisgerechte Rahmenbedingungen. Nur so kann München auch in Zukunft seinem Ruf als Standort für hochwertige, innovative und flächendeckende zahnärztliche Versorgung gerecht werden. Die "Münchner Mischung" aus Fachkompetenz, technologischem Pioniergeist und pragmatischen Lösungsansätzen wird weiterhin gefordert sein.
Quellen:
- Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns (KZBV). (2023). Versicherten- und Vertragszahnärztestatistik Bayern 2023. (Interne Datenauswertung, auf Anfrage).
- Bundeszahnärztekammer (BZÄK) / Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV). (2023). Zahnärztliche Versorgung: Zahlen, Daten, Fakten.
- ifo Institut. (2022). Gewerbemieten in deutschen Großstädten – München an der Spitze. ifo Schnelldienst 75(21).
- Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern (IHK). (2023). Wirtschaftsraum München: Kostenfaktor Gewerbeflächen.
- Bundeszahnärztekammer (BZÄK). (2021). BZÄK-Studie: Personalsituation in deutschen Zahnarztpraxen.
- Bayerisches Landesamt für Statistik. (2023). Statistisches Jahrbuch Bayern 2023: Bevölkerung, Gesundheitswesen.
- Joda, T., Waltimo, T., Probst-Hensch, N., Pauli-Magnus, C., & Zitzmann, N. U. (2020). Health Care in the Digital Era: Teledentistry and Electronic Health Records in Dental Medicine. International Journal of Environmental Research and Public Health, 17(18), 6586.
- Mangano, F., Gandolfi, A., Luongo, G., & Logozzo, S. (2021). Intraoral scanners in dentistry: a review of the current literature. BMC Oral Health, 21(1), 254.
- Estai, M., Kanagasingam, Y., Tennant, M., & Bunt, S. (2020). A systematic review of the research evidence for the benefits of teledentistry. Journal of Telemedicine and Telecare, 24(3), 147-156.
- Schwendicke, F., Samek, W., & Krois, J. (2020). Artificial Intelligence in Dentistry: Chances and Challenges. Journal of Dental Research, 99(7), 769–774.
- Tahriri, M., & Peppas, N. A. (2022). Advanced Biomaterials for Dental Tissue Regeneration and Repair. Science, 375(6585), eabo5730.
